08.04.2022

Kommentar zum Beitrag "Heimtiere" im Metacam-Kalender 2021 / März

Im Kalenderblatt März 2021 wird ein Meerschweinchen mit einer maxillären Backenzahnveränderung vorgestellt (Prof. Dr. Fehr – Hannover). Leider enthält dieser Beitrag einige Fehler, deren Erwähnung bzw. Diskussion mir wichtig erscheint.

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Desweiteren möchte ich einige kritische Worte zur hier demonstrierten Lagerung äußern, da die im Text gegebene Empfehlung den Fang zu öffnen den größten Vorteil dieser speziellen Positionierung zum Teil zunichte macht – eben eine möglichst optimale Darstellung der Oberkieferbackenzähne. 

Da ich die von mir erarbeitete Lagerung zur isolierten Darstellung der Maxilla bereits 2010 in meinem deutschen Zahnbuch (Schattauer) und 2015 in der englischen Übersetzung (Wiley) beschrieben habe (Oberkiefer isoliert nach Böhmer), denke ich einige gute Argumente gegen die hier gezeigte modifizierte Lagerungstechnik anführen zu können. Zumal meine originale Röntgentechnik in einer peer-reviewten Publikation desselben Autors aus dem Jahr 2021 auch korrekterweise als „isolated view of the maxilla as described by Böhmer“ bezeichnet und hier auch korrekt mit geschlossenem Fang dargestellt wird. Was sind die Beweggründe des Autors die jahrzehntelang bewährte Technik nun zu ändern? Lassen sie mich auch hierzu einige Überlegungen festhalten (unter Punkt 2).

Punkt 1: „ventrocaudo-rostroventrale Projektion“

Irgendwie ist mir die Bezeichnung „ventrocaudo-rostroventrale Projektion“ nicht ganz verständlich. Kann man den Röntgenstrahl von ventrocaudal nach rostroventral ausrichten?, wenn man die Maxilla mit den maxillären Backenzähnen bei Rückenlage des Patienten darstellen möchte? (Zur Erklärung: bei der rostrokaudalen Aufnahme verläuft der Zentralstrahl von rostral nach kaudal.) Wie verläuft er hier? Der Einfachheit halber erscheint es eventuell sinnvoller diese Aufnahmetechnik einfach „Oberkiefer isoliert“ zu nennen, da die oberen Backenzähne durch eine entsprechende Positionierung des Patienten zum Großteil isoliert dargestellt werden sollen und können. Bei der klassischen dv- oder vd-Aufnahme sind diese nämlich durch die Mandibula überlagert. Aber natürlich kann jeder eine Lagerung nennen, wie er möchte.

Punkt 2: Lagerung des Patienten

Betrachten wir das Bild mit der Positionierung des Patienten, so fällt auf, dass der Kopf des Tieres trotz Unterlegung des Nackens mit einer Zellstoffrolle recht horizontal liegt. Die gelbe Linie markiert in etwa den Verlauf der Mandibula (deren ventraler Rand) und die gestrichelte Linie den der Maxilla (Nasenrücken). Beide Linien verlaufen ziemlich parallel. Um eine gute Aufnahme „Oberkiefer isoliert“ hinzubekommen, sollte der Kopf aber ca. 40 Grad, also relativ steil, nach unten hängen. Das ist hier definitiv nicht der Fall. Obwohl der Autor im Text schreibt, dass „der überstreckte Kopf mit der Nasenspitze (!) der Röntgenplatte anliegt“ ???!!! Ein deutlicher Widerspruch. Mit dieser Lagerung kann man den Oberkiefer jedenfalls nicht isoliert darstellen. Was vielleicht dann für den einen oder anderen Kollegen, -in, der/die es versucht, frustrierend sein könnte.

Hinzu kommt, dass der Autor schreibt, dass der „Fang unbedingt auch noch maximal (!) geöffnet werden sollte“!? 

Warum sollte man hierbei den Fang öffnen müssen? Denn hierdurch wird das mit dieser speziellen Technik gewünschte Herausprojezieren der oberen Backenzähne zum Großteil neutralisiert. Das kann man selbst erkennen, wenn man einfach ein Kopfpräparat in der hierfür erforderlichen Lagerung mit dem Kopf steil (!) nach unten betrachtet: Man erkennt bei dieser steilen Lagerung des Kopfes, bei der man nun direkt auf die inneren Bereiche der Maxilla blicken kann (sozusagen dem Verlauf des Zentrahlstrahls entsprechend) eine recht gute Darstellung der maxillären Backenzähne. Der Fang ist hierbei geschlossen !!! Öffnet man jedoch den Mund, wie es der Autor des Beitrages empfiehlt/beschreibt, so überdeckt nun die Mandibula einen Großteil der oberen Backenzähne, da sie weiter nach kaudal über die Maxilla positioniert wird. Das ist bei der isolierten Darstellung der Maxilla nicht gewollt, kontraproduktiv und absolut nicht sinnvoll. Falls der Autor jedoch darin Vorteile sieht, so könnte man diese modifizierte Lagerung als „Oberkiefer isoliert mit geöffnetem Fang nach Fehr“ nennen. Der Sinn einer solchen veränderten Lagerung erschließt sich mir nur leider nicht. Daher empfehle ich die originale Version zur Positionierung mit geschlossenem Fang = „Oberkiefer isoliert nach Böhmer“. Das macht für mich mehr Sinn. Hinzu kommt der Vorteil, dass diese Aufnahme bei ruhigen Patienten durchaus ohne (!) Narkose oder Sedation angefertigt werden kann, wohingegen die „open mouth“ Technik nur beim narkotisierten Patienten in Frage kommt. Somit meines Erachtens ein weiterer Vorteil der originalen Version.

Punkt 3: …… „Augen und Ohren röntgenplattennah“?

Im Zusammenhang mit der Lagerung verstehe ich auch die hier gegebene Empfehlung nicht, Augen und Ohren möglichst plattennah auszurichten? Wenn der Kopf, wie es für diese Aufnahmetechnik erforderlich ist, relativ steil nach unten hängt, dann sind die Ohren und die Augen ja relativ weit von der Tischplatte entfernt. Anders geht es ja gar nicht. Dass sie unten sind ist selbstverständlich, da der Patient in Rückenlage ist.

Punkt 4: …… „Position des Zentralstrahles auf Höhe des Gingivarandes der UK-Inzisivi“

Auch diese Empfehlung ist nicht sinnvoll, da der Zentralstrahl hierdurch viel zu weit rostral liegt und hierdurch keine optimale Darstellung insbesondere der beiden letzten maxillären Molaren erzielt werden kann: 

Der Zentrahlstrahl sollte meiner tagtäglichen Erfahrung mit dieser speziellen Lagerung entsprechend auf die mittleren zwei Oberkieferbackenzähne (M1 und M2) ausgerichtet sein, die man ja mit dieser Röntgentechnik auch optimal darstellen möchte. Im übrigen ist auch auf einen gewissen Winkel zu achten, um einzelne Zähne besser darstellen zu können. Der Autor verweist hierauf leider nicht. Auch nicht auf weitere sinnvolle Ergänzungen dieser Technik.

Punkt 5: …… OK links ohne besonderen Befund !!!???

Leider ist diese Beurteilung des Röntgenbildes nicht korrekt. Wie die rot eingezeichneten Linien zeigen (Beschreibung in meinem Zahnbuch Wiley 2015 oder Schattauer 2010), weisen beide letzten oberen Backenzähne (M3) eine retrograde Elongation auf (rechts – also links im Bild -- ausgeprägter als links – rechts im Bild). Hinzu kommt eine dezente Längen-Asymmetrie der mandibulären Schneidezähne, die ebenfalls weiter abgeklärt werden sollte, zumal der rechte mandibuläre Inzisivus auch strukturelle Veränderungen aufzuweisen scheint (orangene Pfeile). Und als Nebenbefund ist die Wand der Bulla tympanica beiderseits dezent verdickt, vielleicht das rechte Mittelohr auch etwas röntgendichter/verschattet?

Da gerade das sichere Diagnostizieren von dezenten Befunden äußerst wichtig ist, um Frühstadien von Zahn- und Kiefererkrankungen erkennen zu können, sollte all dies nicht unter den Tisch fallen. Oft ist nur zu einem frühen Zeitpunkt eine erfolgversprechende Therapie möglich. Daher müssen wir gerade in der Zahnheilkunde kleiner Heimtiere verstärkt versuchen nicht nur Spätstadien der Erkrankungen zu diagnostizieren, deren Erkennen meist jedem relativ einfach fällt. Wir sollten uns zusätzlich verstärkt darum bemühen den Blick gerade für beginnende Zahn- und Kieferpathologien zu schärfen. Und dieser Fall ist ein schönes Beispiel dafür, was man alles erwähnen sollte, um eine möglichst umfassende Diagnostik bieten zu können. Daher erscheint es auch wichtig auf eine mögliche Pathologie des nahegelegenen Kiefergelenkes hinzuweisen, die mit weiteren diagnostischen Schritten nachgewiesen oder ausgeschlossen werden sollte.

Punkt 6: zusätzlich erkennbare Patholgien finden keine Erwähnung

In der Bildbeschreibung werden lediglich die Zahnveränderungen und die Knochenlyse beschrieben, wobei der lila Kreis aber eigentlich nicht darauf hinweist. Nicht erwähnt werden die höchstgradige strukturelle Veränderung des betroffenen Backenzahnes (M3) bis in den apikalen Bereich hinein, einhergehend mit einer ausgeprägten apikalen Elongation (gelber Pfeil) sowie einer vor allem kaudal erkennbaren entzündlichen Zahnfacherweiterung (gelber gestrichelter Pfeil). Ebenso ignoriert werden die ausgeprägte apikale Elongation des M3 im rechten Oberkiefer (roter Pfeil und rote gestrichelte Linie) und eine vermutlich vorliegende Veränderung des linken Kiefergelenkbereiches (grüner gestrichelter Kreis). Der kaudale Unterkieferast liegt linksseitig viel weiter entfernt von der lateralen Wand der Bulla tympanica als auf der Gegenseite – dabei durchaus berücksichtigend, dass die Aufnahme nicht absolut symmetrisch gelagert ist. Eine Ausbreitung lokaler Infektionen vom M3 zum nahegelegenen Kiefergelenk oder der Orbita sind häufige Komplikationen. Da Pathologien des Kiefergelenkes prognostisch meist infaust sind, müssen sie Erwähnung finden. Am Besten mit einem Hinweis, wie man nun weiter vorgehen kann/soll. Die Veränderungen nicht zu erwähnen, könnte dazu verleiten den betroffenen Zahn jetzt einfach zu ziehen und eine Heilung zu erwarten, die aber unter Umständen so nicht erwartet werden kann. Komplikationen und ein fatales Ende können hierdurch vorprogrammiert werden.

Zum besseren Verständnis hier ein Vergleich mit einer identisch (leicht asymmetrisch) gelagerten Aufnahme eines anderen Vergleichs-Meerschweinchens: auch hier ist der kaudale Unterkieferast dezent nach lateral verlagert (gelber Kreis rechtes Bild). Das ist lagerungsbedingt. Hinzu kommt aber, dass es weniger ausgeprägt ist (rechte weiße Linie) und dass sich die knöchernen Strukturen des Kiefergelenkes bei diesem Vergleichstier insgesamt radiologisch gesehen ruhiger darstellen (gelbe Pfeile). Im Gegensatz hierzu erscheinen sie beim im Poster dargestellten Patienten (linkes Bild) weniger deutlich abgegrenzt, im Sinne einer Arthrose oder ev. Infektion (gelber Kreis linkes Bild). Weitere diagnostische Schritte sind erforderlich, um dies sicher zu klären. 

Hinzu kommt, dass sich der Abstand zwischen Bulla und kaudalem Unterkieferast auf der Gegenseite (!) bei beiden Meerschweinchen unterschiedlich darstellt (weiße Pfeile). Der Abstand ist beim Meerschweinchen mit der maxillären Zahnentzündung deutlich kleiner (orangener Pfeil links im Bild), was ebenfalls dazu Anlass geben sollte die Kiefergelenke näher unter die Lupe zu nehmen, denn der Unterkiefer erscheint insgesamt abnorm nach links verschoben zu sein (gestrichelter roter Pfeil). Also ein deutlicher Unterschied zum Vergleichstier mit der Notwendigkeit einer weiteren Diagnostik der Kiefergelenke. (Die langen weißen Linien sollen nur zeigen, dass beide Köpfe in etwa gleich groß dargestellt sind). 

Punkt 7: Anwendungsmöglichkeiten: Darstellung ……………. der knöchernen Begrenzung der Mandibeln?

Obwohl ich die Aufnahme Oberkiefer isoliert nach Böhmer oft und gerne benutze, ist sie - meiner Einschätzung nach - zur Darstellung der knöchernen Begrenzung der Mandibeln absolut nicht geeignet, da dieser Bereich eigentlich vollständig mit der Maxilla überlagert ist. Hierfür eignet sich die Aufnahme Unterkiefer isoliert nach Böhmer weitaus besser, da hier die Mandibula ohne störende Überlagerung mit der Maxilla isoliert dargestellt werden kann.

Ich wünsche allen Lesern dieses Beitrages viel Erfolg und Spaß beim Anfertigen der speziellen Lagerung „Oberkiefer isoliert nach Böhmer“. Wenden Sie die originale Technik an (siehe mein Zahnbuch) und ich bin mir sicher, dass Sie über die Ergebnisse genauso begeistert sein werden wie ich es jedesmal aufs Neue bin. Und lassen Sie daher dabei den Fang geschlossen 😊. Falls Sie Fragen zum Thema haben, schreiben Sie mich einfach per e-mail an. Oder schicken Sie mir ihren Kommentar zum Thema zu, damit wir ihn hier veröffentlichen und diskutieren können. 

Estella Böhmer